Kann man Kunst vom Künstler trennen? Sollte man? Darf man?

Kann man Kunst vom Künstler trennen? Sollte man? Darf man?
Spätestens seit J. K. Rowlings transphoben Äußerungen auf Twitter und dem Aufschrei der Buchwelt, als Johnny Depp von seiner Rolle als Grindelwald zurücktreten musste, beschäftigt mich diese Frage immer mehr. J. K. Rowling war viele Jahre ein Vorbild für mich, ich hab zu dieser Frau aufgeschaut und sie für das bewundert, was sie erschaffen hat, mit “Faith in You” habe ich sogar ein Buch über eine junge Frau geschrieben, die absolut im Harry-Potter-Fandom aufgeht.
Und jetzt? Jetzt fühle ich mich nicht mehr wohl dabei, mein eigenes Buch zu bewerben, weil es eine Frau unterstützt, deren Aussagen ich nicht nur extrem kritisch finde, sondern von denen ich mich zu 100 % distanzieren möchte. Harry Potter hat mir viel gegeben, ich bin damit aufgewachsen, habe jedes Release heiß und innig erwartet und mich in einer Welt wiedergefunden, die so viel magischer war als meine eigene … aber nun frage ich mich: Kann ich Kunst in unserer heutigen Welt wirklich noch vom*von der Künstler*in trennen?
Gerade in der Debatte um Johnny Depp habe ich mich teilweise richtig über die Aussagen mancher – vor allem Frauen – erschrocken. Er sei ein großartiger Künstler, es wäre traurig, dass er nun gezwungen wurde, von seiner Rolle als Grindelwald zurückzutreten, “nur weil” er in einem Prozess verloren hat, in dem man ihm Gewalt gegen Frauen vorgeworfen hat. Natürlich wünsche ich mir, dass es nicht wahr ist, aber was, wenn doch? Möchtest du jemanden wirklich finanziell unterstützen, der dich schlagen würde, hätte er einen Grund und eine Gelegenheit dazu?
Johnny Depp und J. K. Rowling sind nur zwei Beispiele von vielen. Ich könnte mittlerweile so viele Namen nennen von Menschen, die Geschwurbel verbreiten oder Ansichten und Theorien vertreten, die ich gedanklich nicht unterstütze – und deshalb auch finanziell nicht mehr unterstützen möchte.
Ich persönlich trenne Kunst und Künstler*in also nicht mehr, sehe allerdings, dass das Thema in unserer Buchbubble so gut wie nie diskutiert wird, wenn überhaupt von betroffenen marginalisierten Menschen. Oft werden immer noch Harry Potter Merch oder die neuesten Bücher von homophoben oder sexistischen Autor*innen in die Kamera gehalten, und da muss ich mich einfach fragen: Sympathisieren diese Bookstagrammer*innen mit den Ansichten der Künstler*innen? Haben sie davon noch nichts mitbekommen? Oder ist es ihnen schlichtweg egal?
Heute habe ich einen Beitrag einer Bookstagrammerin gelesen, der diesen Text hier ausgelöst hat. Sie schrieb, dass sie die aktuellen Themen unserer Bubble so satt hätte. Hate hier, Frauenfeindlichkeit da, Homophobie dort, wieso könnten wir nicht alle zum friedlichen Wir-halten-ein-Buch-in-die-Kamera-und-haben-uns-alle-lieb zurück?
Versteht mich nicht falsch, ich sehne mich auch nach einer Friede-Freude-Eierkuchen-Welt, aber die Realität ist halt einfach mal eine andere.
In unserer Welt bekommen homosexuelle Menschen in der Öffentlichkeit haufenweise homophobe Nachrichten von Menschen, die (offenbar) nichts Besseres zu tun haben und nicht mal merken, wie verletzend sie damit sind.
In unserer Welt stellt sich ein Kabarettist zur Prime-Time vor die Kamera und behauptet, das Buch einer deutschen Autorin, die sich gegen Rassismus einsetzt, sei rassistisch und hätte Trump begünstigt.
In unserer Welt halten Musiker und Vegan-Vorreiter Händchen, predigen eine neue Weltordnung und ziehen tausende Menschen zu Protesten auf die Straße, die mit ihren Handlungen zig Leben gefährden könnten.
In unserer Welt gehen Schüler*innen weltweit auf die Straßen und kämpfen virtuell für eine grünere Zukunft, für überhaupt eine Zukunft, wenn wir mal ehrlich sind, und werden dafür von Politiker*innen und alten Menschen niedergemacht.
In unserer Welt werden New Adult Romane immer noch belächelt und als schundhafte Erotikliteratur in Regale einsortiert, obwohl sie bereits so vielen jungen Frauen dabei geholfen haben, sich in einer der schwierigsten Phasen ihres Lebens zurechtzufinden.
In unserer Welt regieren Hate, Frauen- und Fremdenfeindlichkeit und Homo- und Transphobie, hier regieren alte, weiße Menschen, denen die Zukunft unseres Planeten scheißegal sein kann, weil sie in zwanzig oder dreißig Jahren sowieso nicht mehr leben.
Wir. Wir in der Buchbubble, wir Generation X, Y, Z, wir sind diejenigen, die den Mund aufmachen müssen. Wenn wir so tun, als wäre hier alles Friede-Freude-Eierkuchen, dann wird sich nichts ändern.
Natürlich kann eine einzelne Person nicht die Welt verändern, natürlich können wir keine Berge verrücken, das verlangt ja auch niemand von uns. Was wir aber können, ist bewusste Entscheidungen treffen. Wir können uns informieren und nicht die Augen verschließen, wir können Künstler*innen nicht mehr von ihrer Kunst trennen und nur da Geld hinstecken, wo wir auch den Menschen dahinter unterstützen möchten. Wir können unsere Buchbubble ausweiten und aktiv nach Diversität in unseren Abonnements suchen.
Und als Künstler*innen können wir noch viel mehr: Nämlich unsere Stimme nutzen, um unsere Ansichten zu vertreten. Genauso wie das Schwurbel-Theoretiker und rassistische, homophobe, frauenfeindliche Menschen machen, können wir unsere Stimme nutzen, um dagegen zu halten. Wir können mehr Diversität in unsere Geschichten einbauen und dafür kämpfen, dass die Buchwelt insgesamt queerer wird. Wir können die Angst vor Kritik und Hatern beiseiteschieben und unseren Account und unsere Bücher nutzen, um Augen zu öffnen.
Wir haben aktiv die Möglichkeit, Menschen in ihren Denkweisen zu beeinflussen, vor allem im Jugendbuch und New Adult Bereich müssen wir damit extrem sensibel umgehen, weil unsere Leser*innen teilweise noch so jung sind, dass sie Realität und Fiktion nicht immer gut voneinander trennen können.
Sobald wir Menschen mit unseren geschriebenen oder gesprochenen Worten erreichen, ob nun als Künstler*in oder Bookstagrammer*in haben wir eine Verantwortung zu tragen, die wir nicht einfach wie eine getragene Socken abschütteln können. Wir haben uns für ein Leben in der Öffentlichkeit entschieden, ignorieren wir das also bitte nicht, sondern nutzen die Möglichkeit, um in unserem Rahmen etwas Gutes zu tun.
Danke.
Wie siehst du das? Trennst du Kunst und Künstler*in? Oder achtest du da nicht drauf?
Zum Weiterlesen:
Autor vs. Werk oder: Was tun mit den Büchern? von Anabelle Stehl, 2017
Hey! Schön, dass du da bist! Mein Name ist Kim Leopold. Ich bin Autorin für Liebesromane und Urban Fantasy und rede in meinem 14-tägigen Podcast Autor werden? — Autor sein! über das Fußfassen in der Buchbranche. Schau dich gerne auf meiner Website um!
Newsletter
Du möchtest Neuigkeiten, Preisaktionen und Neuerscheinungen direkt in dein Postfach erhalten? Dann meld dich jetzt für meinen Autorinnen-Newsletter an:
Thank you!
You have successfully joined our subscriber list.